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Sonntag, 28. Juni 2015

Weissrussland

Liebes Internet,
üblicherweise berichte ich nicht von Wochenend-Touren, in diesem Fall mache ich aber eine Ausnahme, da das Reiseziel für potentielle Leser vermutlich doch interessanter ist als Italien oder Holland. Eigentlich hätte ich ja auch schon im vergangenen Jahr hingewollt, weil durch die Eishockey-WM kein Visum erforderlich gewesen wäre. Hätte, wenn und aber, nun sollte es also dieses Jahr klappen. Bereits vor Monaten wurde sich mit André geeinigt, in der Sommerpause anzureisen. Irgendwann hatten wir ein Wochenende festgelegt, später dann auch mal Flüge gebucht, um uns schließlich noch der Visa-Hürde zu stellen. Weil wir eigentlich nur kurz rein ins Land und schnell auch wieder raus wollten, sollte ein Transitvisum reichen. Das sah Beamte Pavel aber anders und schmetterte den Antrag ab, war aber so nett, mir per Mail anzubieten, noch die 40 Euro mehr pro Person fuer richtige Visa zu zahlen und dadurch das korrekte Teil zu erhalten. Es half nichts, wurde natürlich gezahlt. Zusätzlich brauchte Pavel noch eine Bestätigung vom Hotel, die uns ebenfalls reibungslos und extrem schnell zur Verfügung gestellt wurde. Auch die Post meinte es gut und so trudelten sieben Tage vor Abflug, trotz Streiks, die Pässe ein. Lange Rede kurzer Sinn, der Spaß konnte beginnen, viel Spaß beim Lesen, Fotos ganz unten:
Freitag, 26.06.2015
Der Tag begann früh. Ein edler Gastgeber hatte uns in Bremen Obhut gewährt und wir pendelten mit der Bahn zum bewährten Flughafen. Während ein paar Spanien-Reisende das Ryanair-Prinzip noch nicht verstanden hatten und mit Blumen-Kette und Sonnenhut den Trolley doch noch aufgeben mussten, belächelte die Schalter-Dame unsere schmalen Rucksäcke eher und wir sickerten gekonnt in den Wartebereich ein. Pünktlicher Abflug um 06.40 Uhr, Flug verpennt, Nacht war wohl doch zu kurz. In Vilnius schnell einen Snack eingeworfen und dann am Busbahnhof den nächstbesten Bus nach Minsk gebucht. Kosten 13€. Studenten, die auch sagen, dass sie Studenten sind, zahlen sogar nur 11. Bis Abfahrt blieb noch Zeit für einen Stadtrundgang, der in der erstbesten Kneipe endete, waren schließlich schon beide mal hier. Um 12.30 Uhr schepperte das 70er Jahre Gefährt gen Grenze los. Im Gepäck wir, sowie 40 weitere Reisende. Außerdem an Board: Hanna. Nachdem die weissrussische Grenze problemlos mit einer halben Stunde Wartezeit genommen wurde, hatte sie unser Deutschsein enttarnt. Die kleine Weissrussin studiert nämlich in Duisburg und tat etwas verwundert, was genau wir denn in ihrer Heimat wollten. Wir wiederum waren verwundert, weil ich Hanna schon in der Bahn nach Bremen aus Spaß fragte, ob sie auch nach Minsk wolle, als sie mit unserem Koffer an uns vorbeifiel. Den dummen Spruch hatte sie aber wohl gar nicht gehört und schien uns auch zu mögen. Bis wir um 16.30 Uhr in Minsk ankamen, wurde aber erneut etwas Schlaf nachgeholt. Und weil wir vorher mit ihr brüderlich den Wodka teilten, kamen wir doch leicht zerreedert in Minsk an. Da uns Hanna aber mehr oder minder an die Hand nahm, brauchten wir uns auch erst gar nicht selber orientieren, sondern stolperten erst zur Bank und zum erfolgreichen Fahrkartenkauf für die Rückfahrt, um dann in der Metro abzutauchen. Bevor wir aber am Hotel entlassen wurden, holten wir noch ihre Cousine aus einer Bar ab, die mehr als verdächtig nach Puff aussah, aber angeblich nur ein ganz normaler Laden sein soll. Da Prostitution offiziell verboten ist, glauben wir das an dieser Stelle mal. Erneut mit der Metro wurde das Hotel Orbita am Stadtrand erreicht. Von aussen wirkte die Hütte wie ein schäbiger Ostplattenbau, von innen war das ganze bei 25 Euro pro Person und Nacht ganz ok. Wifi auf dem Zimmer waer sicher entspannter gewesen, aber dafür waren wir ja nicht da. Deshalb ging es nach zweistündiger Pause auch weiter. In einem schmalen Restaurant gab es eine Stärkung in Form von Kartoffeln, Fleisch und Bier, dann waren wir in der Stadt mit den Girls verabredet. Puenktlich mit einer Stunde und 15 Minuten Verspätung waren wir schließlich an einer der zentralen Straße, um ohne Absprache nach 10 Metern Hanna in die Arme zu laufen. Geiler Zufall. Mittlerweile waren wir dann zu fuenft, Hannas Freundin hatte allerdings Mundwinkel bis Moskau und so war es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich unter Tränen verabschiedete. Weg frei zur Party, der Schuppen, der angesteuert wurde, war dann letztlich einer der hippesten Läden, in denen ich je war. Weswegen fuer drei Tequilla und ein Bier wohl auch 15 € (oder vielleicht auch mehr) fällig wurden. Die Weiber waren aber so gar nicht wie das Klischee versprach. Haette ich es nicht besser gewusst, ich haette nicht gesagt, dass wir in Weissrussland sind. Nachdem noch ein paar weitere Shots vernascht wurden, schwangen dann sogar André und ich das Tanzbein bis zu mindest mir irgendwann die Äuglein mehr und mehr zufielen. Hanna musste, ganz zufällig, auch in unsere Richtung und kam im Taxi noch mit zum Hotel und später noch mit aufs Zimmer. Wie es um ihr Konto stand, weiss ich nicht, aber dass es nicht zur Länderpunktparty mit drei Teilnehmern kommen würde, war so oder so klar. Also musste der noch wache André übernehmen, scheiterte jedoch an entscheidender Stelle. Wenngleich ich mir sicher bin, dass der Punkt in den nächsten Wochen nachgeholt wird. Keep on fighting, bobob, siege für uns!
Samstag, 27.06.2015
Die Nacht war erneut kurz, das Aufstehen viel ensprechend schwer. Der nicht gerade als Schnellaufsteher bekannte André konnte auch nicht mit Grillhähnchen und Brot vom Supermarkt aus dem Bett geholt werden. Um 12 hatte er es dann aber immerhin in die Lobby geschafft, so musste ich seine Internetzeit arg verkürzen, um unseren Programmplan einhalten zu können. Der sah zunächst einen 45 minütigen Marsch gen Norden vor. Genug Zeit, um den vergangenen Abend nochmal zu verarbeiten. Vor allem, wie die eigentlich westlich geprägte Hanna, über die weissrussische Republik sprach gab zu Bedenken. Vorm Palast der Relublik hatte sie uns erzaehlt, dass apllaudieren dort verboten sei, weil bei Demos "gegen unsere Politik" mal applaudiert wurde. Schwule waren jetzt auch nicht so richtig normal für sie und "Feinde" könnten ja auch aus dem Gefängnis kommen, wenn sie sich eingestehen, dass falsch ist, was sie denken und was sie gegen die Politik haben. Wenn es nur immer so einfach wäre... nach dem einhundertstem Wohnblock war das Zwischenziel dann erreicht. Auf dem Trainingsgelände vom FC Minsk sollte ein Fußballspiel der Reserve Liga stattfinden, was angesichts von sich aufwärmenden Teams auch tatsächlich der Fall zu sein schien. Eintritt kostete der Kick keinen, dafür durchsuchten Militärs unsere Rucksäcke aufs penibelste. Da immer wieder über Inhalte diskutiert wurde, eine doch recht befremdliche Situation, letztlich kam aber alles ausser ein paar Aufklebern rein, was wir dabei hatten.
FC Minsk Reserve 6-0 (3-0) Granit Mikashevichi, Reserve Liga, KFP Minsk, 75 Zuschauer
Eine typische Stahkrohrkonstruktion mit Sitzschalen verteilt auf zwei Tribuehnen mit jeweils sechs Reihen. Nicht gerade geil, aber der Zaun inklusive geiler Flutlichter holte schon etwas mehr raus. Spiel war zu mindest in die eine Richtung attraktiv und über sechs Tore kann man nun auch nicht meckern. Länderpunkt 38, bzw. 36 golt damit als gemacht, die Reise sollte aber praktisch erst beginnen. Zu Fuß ging es in Richtung Stadt. Vorbei an Sehenswürdigkeiten, wie dem Palast der Unabhängigkeit, immer weiter ins Zentrum. Nur die Zeit wurde so langsam knapp, daher musste uns die Metro den Rest der Strecke zum Bahnhof fahren. Nachdem wir an mehreren Schalter-Damen kläglich gescheitert waren, vermeldete dann eine, dass unser gewuenschtes Ziel nicht wie geplant angefahren werden könne. Warum genau, wird auf ewig ein Rätsel bleiben. Züge ausgebucht, Verkauf nur bis x Minuten vorher, wer weiss das schon. Die Alternative lautete Taxi. Damit tat ich mich allerdings mehr als schwer. Mal abgesehen von den noch gerade so überschaubaren Kosten ist das Taxi auch ein Transportmittel, das mich einfach nur nervt. Vor allem gab es mit einem Drittligakick eine annehmbare Alternative. Irgendwann entschieden wir uns aber doch für die Taxi-Variante. Eine Millionen (kein Scherz) Rubel, knapp 60 € fuer 50 Kilometer. Nervt, ich hab aber schon sinnloser Geld verpulvert. Nach 50 minuetiger Fahrt waren wir dann auch da und lösten zunächst den Fahrschein für die Rückfahrt. 50 cent waren dafür fällig, fanden wir in dem Moment zwar merkwürdig, aber noch kein Grund zur Panik, erstmal wollten wir schließlich zum Fußball und nicht nach hause. Vom Bahnhof waren die Flutlichtmasten schon zu sehen, das machte Hoffnung. Im Dorf Zhodino war sonst wortwörtlich der Hund begraben. An einer Gasse, an der es zwei Geschäfte gab, tauchten immerhin auch noch weitere Menschengestalten auf. Deshalb gab es nun einen kleinen Snack. In der Hektik des Nicht-Zugfahrens war das wohl etwas auf der Strecke geblieben. Pünktlich 15 Minuten vor Kickoff war das Stadion erreicht. Hier tummelten sich dann auch deutlich mehr Menschen, die uns allesamt aber eher für Außerirdische hielten. So oft dürften sich Westler wohl nicht hierher verirrt haben, gibt abgesehen von Fußball aber auch wirklich keinen Grund dafür, wenn man nicht einen Fetisch für Sowjet-Dörfer hat. 40.000 Rubel waren für den Eintritt fällig. Reinschleichen wäre angesichts der Polizisten, die für die Eingangskontrollen zuständig waren, eine suboptimale Idee gewesen. Diese wollten dann auch wieder den kompletten Rucksackinhalt sehen. Die Inhalte waren aber auch hier no Problemski. Dieses mal gab es sogar einen Imbisswagen, an dem die fettig gebackenen Waren angepriesen wurden. In der Schlange hinter mir wurde schon auf die scheiss Touristen geschimpft, also verdrückten wir uns pünktlich zur Nationalhymne auf die Sitze.
Torpedo Zhodino 3-1 (2-0) Vitebsk, Belarus Premier League, Stadion Torpedo, 700 Zuschauer (40 Gäste)
Der Gastgeber und aktueller Europapokalteilnehmer dümpelt derzeit auf Tabellenplatz neun rum, die Gäste befinden sich in freiem Fall auf dem letzten Platz. Das habe ich zwar erst nach Abpfiff nachgeguckt, die Rollen waren im Spiel aber trotzdem klar verteilt. Allerdings dauerte es  bis zur 34. Minute bis das erste Tor fiel, das zweite folgte aber eine Minute später. Das freute den Heimanhang, bei dem es auch ein kleines Grüppchen an Supportern gab, das ab und zu mal Schlachtrufe ins Rund rief. Auch die Gäste feuerten ihre Truppe immer mal wieder an, das war mehr als erhofft. Durch einen Elfer kamen diese auch sogar noch ran und wir somit nah an die zehn Tore an einem Tag Marke. In der zweiten Hälfte wechselten wir die Tribuene. Und weil die Sonne so schön schien, war die wichtige Frage, ob und wie wir noch an ein kuehles Bier gelangen. Währenddessen gelang Zhodino mit einem geilen Heber aus knapp 30 Metern das erhoffte zehnte Tor für uns. Am Ausgang wurde direkt ein kleiner Market erspäht. Die Herzen sprangen schon im Dreieck, als wir im Kuehlschrank Herrenhäuser Flaschen entdeckten. Die hannoversche Brauerei scheint also auch in diesen Teil der Welt zu exportieren. Die Hoffnungen wurden aber schnell gestoppt. Njed pivo, futbol, lautete die Aussage der unfreundlichen Kassiererin. Bleijd! Durstig trotteten wir gen Bahnhof. Nach 15 minütiger Wartezeit rollte der angepeilte Zug dann puenktlich wie ein Schweizer Uhrwerk ein. Nur die Schaffnerfrau wollte uns so ganz und gar nicht an Bord lassen. Falsche Tickets, nix Einstieg, scheisse. Noch war die Hoffnung auf die Heimreise allerdings nicht begraben. Mit Händen und Füßen wurde auf die Dame am Ticketschalter eingeredet, die konsequenterweise nur auf russisch antwortete und es nicht einsah, auch nur ansatzweise etwas zu tun, uns zu helfen. Die Verzweiflung war nah, aber irgendwann fiel auf beiden Seiten der Groschen. Warum auch immer, hatte man uns ein Elektrischka-Ticker ausgestellt. Die hätte auch nicht am Bahhnhof in Minsk gehalten, unseren Zug hätten wir wohl ziemlich sicher verpasst. Mit reichlich Überlegung hätte uns die Angelegenheit klarer sein können, das kann man so sagen, aber nun stellte uns die Babuschka problemos zwei Tickets fuer den naechsten Zug aus, der zu unserem Glueck bereits in der naechsten Stunde fuhr. Auch der kam erneut auf die Minute genau, der Einstieg wurde uns gestattet. Die Züge erinnerten stark an die russischen Modelle. Statt Sitze gab es eben Betten, erinnerte stark an die Transsib und ich waere am liebsten direkt sitzen geblieben. Aber Praktikum und Uni zwangen uns nun zum Umstieg in Minsk. Puenktlich 45 Minuten vor Abfahrt gen Vilnius hatten wir es also doch noch gemeistert. Im nachinein koennen wir wohl darueber lachen, passiert den Besten. Die Bierverkaufssperre ab 22 Uhr machte schließlich noch den letzten Strich durch sämtliche Hoffnung auf Bier. Trotzdessen sich schnell noch der Magen mit sämtlichem Scheiss vollgehauen wurde, blieben immer noch viel zu viele Rubel in der Geldbörse. Sicher eine gute Waehrung, um zu investieren. Den letzten Aufreger der Tour hatte dann die russische Schaffnerin am Nachtexpress zwischen Moskau und Kaliningrad bereit. Was auch immer sie wollte, aber wir mussten fuenf Minuten mit ihr Worte wechseln, bis sie uns passieren ließ. Im Zuginneren schlug uns diese herrliche Wand an russischem Gestank entgegegen, durch die wir uns zu unseren Betten vorkämpften. Knoblauch, Eier, Schweiss, Geschnarche...russische Züge, man muss sie einfach lieben. Nach zwei Stunden Powerschlaf bestiegen zunächst die weissrussischen Grenzer die Bahn. Ging recht flott, vermutlich alle ausser uns durften ja auch noch frei reisen. Einen Stop weiter kam dann die nächste Watch. Für uns gab es ein "welcome" in der Festung Europa, der Rest wurde kritisch beäugt, wollten ja aber sowieso nur durchfahren. Um 5 Uhr morgens waren wir also wieder in Vilnius. Nach zweistündiger Gammelei fuhren wir zum Airport und nach ziemlich exakt 48 Stunden seit Verlassen des Fliegers bestiegen wir diesen wieder...
Zusammenfassend eine gelungene Tour. Etwas teurer als angesetzt, dafür aber auch definitiv ein Kontrast zu anderen Reisen, auf denen ja doch eher das übliche Programm abgespult wird. Minsk hatte vor allem mit seinem Partyvolk begeistern können. Wäre das mit den Visa nicht zu schwer für 90% europäischer Backpacker, ich würde die Stadt glatt als neue Partyhochburg ausrufen. So ist sie eben aufstrebend mit altem sozialistischem Charme.